Die (wahrscheinliche) Zukunft der Ernährung und Konsequenzen für die Landwirtschaft
Die Ernährung der Menschheit und die Landwirtschaft stehen vor großen Herausforderungen und Veränderungen. Die Weltbevölkerung wächst von heute 8 Milliarden auf 10 Milliarden bis zum Jahr 2050. Die Klimakatastrophe, die Degradierung der Böden und der Kollaps von Ökosystemen durch Biodiversitätsverluste schränken die Ernten und den Fischfang zunehmend ein. Tierseuchen und Zoonosen senken die Absatzmöglichkeiten und verringern weiter die Wirtschaftlichkeit der Tierhaltung. Werteveränderungen in Bezug auf die Nutzung von Tieren erhöhen die Kosten der Tierhaltung und verringern die Nachfrage nach tierischen Produkten. Ökologische Landwirtschaft als Schutz vor den Folgen der Klima- und Biodiversitätskatastrophen gewinnt zunehmend an Bedeutung in Politik und Gesellschaft. Vielfältige neue Verfahren und Technologien führen zu drastischen Senkungen der Preise tiernutzungsunabhängiger, alternativer Proteine und anderer Nährstoffe bei verbesserter ernährungsphysiologischer Qualität, deutlich geringerem Ressourceneinsatz und hoher Klimafreundlichkeit.
Insgesamt dürften die Entwicklungen die Tierhaltung für Landwirte schon bald unwirtschaftlich und längerfristig unmöglich machen.
A. Welche Hinweise auf den wahrscheinlichen und schnellen Niedergang der Tierhaltung gibt es bereits heute?
(1) Aktuelle Statistiken
In Deutschland wurden im 1. Halbjahr ’22 gegenüber dem 1. Halbjahr ’21 zwölf Prozent weniger Fleisch nachgefragt [1] und acht Prozent weniger produziert [2]. Dabei sind die Ursachen vielfältig und umfassen vermutlich im Wesentlichen (i) gestiegene Kosten für Getreide und Energie aufgrund der Klimakatastrophe und des Kriegs in der Ukraine, welche zu höheren Endkundenpreisen und Betriebsaufgaben führten, (ii) Importverbote für Schweinefleisch in China wegen der Afrikanischen Schweinepest und (iii) eine verringerte Inlandsnachfrage aufgrund von Werteveränderungen in der Gesellschaft und der gleichzeitig starken Zunahme pflanzenbasierter Alternativen.
(2) Prognosen verschiedener Marktforschungsinstitute und Unternehmensberatungen
Der Boston Consulting Group zufolge könnte der alternative Proteinmarkt bis 2035 auf 22% wachsen [3]. Gemäß AT Kearney könnte der globale Fleischmarkt bis 2040 um 33% sinken [4]. RethinkX prognostiziert, dass der Fleisch‑, Milch und Fischmarkt in den USA und wahrscheinlich auch in anderen Ländern bis 2035 um 90% zurückgehen und somit de facto kollabieren wird [5].
Treiber obiger Prognosen sind (i) pflanzenbasierte Alternativen, (ii) kultiviertes Fleisch (zellbasiert) und (iii) Proteinproduktion über Präzisionsfermentation. Letzteres Verfahren ist besonders effektiv. Empfehlenswert zum Verständnis hierzu ist Kapitel 2.2.2.2 (The Disruption of Milk) [5]. Demnach startet der Kollaps der Tierindustrie mit dem Ersatz der Kuhmilch durch die bessere und günstigere PF-Milch.
(3) Komplett neue Technologien, wie z.B. Air Protein
Die neuen Verfahren können Proteine 10-mal effizienter als Pflanzen produzieren und 100-mal effizienter als Tiere. Sie benötigen keinerlei Input der Landwirtschaft und sind unabhängig von Klima und Boden einsetzbar. Die notwendige Energie wird durch die mittlerweile sehr ausgereifte Solartechnik erzeugt, welche natürliche Bakterienkulturen nutzen, um hochwertige Proteine und andere essentielle Nährstoffe herzustellen. Die wissenschaftliche Grundlagen findet man z.B. in diesen Studien [6] und [7]. Funktionierende Prototypen existieren und das finnische Unternehmen Solar Foods baut bereits die erste Fabrik. Kommerzieller Start soll Anfang 2024 sein. Diese neue Technologien sind noch nicht in obigen Prognosen berücksichtigt und werden zusätzlich für Dynamik sorgen.
B. Was sollten Landwirte tun und welche Möglichkeiten haben sie?
Landwirte sollten schnellstmöglich aus der Tierhaltung aussteigen, ggf. auch mit Verlust, und sich anderen Geschäftsmodellen zuwenden, z.B.:
(1) Umstieg auf eine (bio-) vegane Landwirtschaft und Anbau von Pflanzen für Pflanzenmilch und Pflanzenfleisch oder von Gemüse/Obst
Informationen zu bio-veganer Landwirtschaft finden Landwirte über den Förderkreis biozyklisch-veganer Anbau [8], dem vom Umweltbundesamt geförderten Projekt “Veganer Ökolandbau” [9] und von vielen deutschen und international praktizierenden Betrieben [10]. Zwei hervorzuhebende, seit Jahren vegan wirtschaftende Beispiel-Betriebe sind PlantAge [11] und der Biohof Hausmann [12].
Leider ist die Tierhalter-Lobby sehr stark und es werden zahlreiche Fehl- und Falschinformationen gegenüber der Öffentlichkeit, der Politik, aber auch gegenüber Landwirten verbreitet. Sogar Cem Özdemir griff einige davon auf, indem er die Lobbyposition des Bauernverbands übernahm und behauptete, dass eine Landwirtschaft ohne Tierhaltung nicht möglich sei [13]. Einige dieser Mythen auf den Webseiten von “landwirtschaft.jetzt” entkräftet: [14] und [15].
Auch wenn es seitens des Staates in Deutschland noch keine umfasssenden Programme, wie bspw. in den Niederlanden gibt [16], werden Umstiege schon heute von gemeinnützigen Vereinen begleitet und unterstützt, z.B. von Bevela [17] und Hof Narr [18].
(2) Nutzung des Graslands anstatt für Kühe zur Biogaserzeugung und Düngerherstellung
Anstatt für Kühe bietet die Nutzung bestehenden Graslands als Lieferant für Biogassubstrat in Biogasanlagen für den Landwirt mindestens zwei Vorteile.
(i) Die Vergärung des Grases erzeugt Methan, das klimaneutral von Unternehmen oder Haushalten verbrannt oder vom Landwirt direkt verstromt werden kann. Damit kann der Landwirt mit seinem bestehenden Grasland weiterhin Geld verdienen. Die Gesellschaft profitiert zudem durch die Verringerung geopolitischer Abhängigkeiten von Staaten wie Russland, Katar und Saudi-Arabien.
(ii) Die Vergärung produziert Gärreste, die als pflanzenbasierter Dünger lagerbar und bedarfsgerecht einsetzbar sind. Diese Dünger werden zunehmend erforderlich, wenn Gülle, Mist und Tierkadaver als Dünger wegfallen.
Informationen zur Umsetzung und Wirtschaftlichkeit hat die “Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft” in einem Merkblatt zusammengefasst [19].
(3) Bereitstellung von Grünflächen für Solar- und Windkraftanlagen
Angesichts der geopolitischen Energiekrisen, dem Ausstieg aus fossilen Energien und der Kernkraft, dem zunehmenden Strombedarf durch Elektromobilität und des sich verstärkenden Klimawandels wächst der Bedarf an erneuerbaren Energien. Windkraft- und vor allem Solaranlagen benötigen Flächen, die Landwirte bei einem Ausstieg aus der Tierhaltung bereitstellen können.
Die Planung und die Errichtung von Windkraftanlagen ist aufwändig und kompliziert. So muss hierfür an öffentlichen Ausschreibungen teilgenommen werden, Prüfungen und Genehmigungen sind langwierig und Zuschläge sind selten. Dennoch sollte diese Option zumindest nicht ausgeschlossen werden [20]. Wie die Statistik der Rentenbank zeigte, legten im 1. Halbjahr ’22 Finanzierungen für Windkraftanlagen unter Landwirten am stärksten zu [21]. Eine erste, kostenfreie und unabhängige Beratung hierzu kann z.B. über die bayerische Koordinierungsstelle für nachwachsende Rohstoffe, erneuerbare Energien und nachhaltige Ressourcennutzung, “C.A.R.M.E.N e.V.” erfolgen [22].
Vielleicht für Landwirte interessanter und erfolgversprechender ist die Umnutzung von freiwerdenden Tierhaltungsflächen für Solaranlagen. Zum einen können Landwirte ihre Flächen verpachten (Pachtpreis beträgt je nach Lage 2.000 Euro/ha) und zum anderen Mitgesellschafter einer Anlage werden [23]. Einen detaillierten Leitfaden für ein solches Vorhaben stellt “C.A.R.M.E.N e.V.” bereit [24], die auch eine persönliche Beratung anbieten [22].
Eine weitere Möglichkeit ist Agri-Photovoltaik, also die kombinierte Nutzung von Agrarflächen für Pflanzenbau und Solarkraft. Hierdurch kann eine Flächennutzungseffizienz von bis 160% bezogen auf eine nur einfache Nutzung erreicht werden [25]. Denkbar ist ebenfalls die gemeinsame Nutzung von Grünland als Grassubstratlieferant für eine Biogasanlage und als Fläche für eine Solaranlage. Einen umfassenden Leitfaden hierzu hat das Fraunhofer Institut erstellt [26]. Auch hier kann eine Erstberatung von “C.A.R.M.E.N e.V.” erfolgen [22].
(4) Aufforstungen, Vermoorungen und andere Renaturierungen
Durch einen Ausstieg aus der Tierhaltung werden viele Grünlandflächen frei, die wieder in den natürlichen Zustand, wie Wald, Moore oder Streuobstwiesen zurück verwandelt werden können. Diese Flächen würden dann wichtige Ökosystemleistungen, wie CO2- Sequestrierung und Aufbau von Biodiversität erbringen [27], welche den Landwirten zu vergüten wären. Erstaufforstungen können zwar heute schon unter bestimmten Bedingungen gefördert werden [28],[29], allerdings sind Umnutzungen von Dauergrünland, auch für Aufforstungen, stark reglementiert und genehmigungspflichtig. Aktuelle Informationen können bei den zuständigen Landwirtschaftskammern eingeholt und Anträge müssen an das jeweilige Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gestellt werden.
Zukünftig sollte seitens der Politik die Umsetzung von Ökosystemleistungen den Landwirten aber weiter stark erleichtert und dauerhaft vergütet werden, z.B. über die Ausgabe von CO2-Zertifikaten. Dies könnte gekoppelt werden mit dem staatlichen Ziel der Reduktion der Tierhaltung, wenn zuvorderst die Umnutzung von Weideland gefördert wird. Um entsprechend politische Rahmenbedingungen zu erhalten, sollten Landwirte hierzu über ihre Interessenvertretungen und Verbände von der Politik deutlich mehr Unterstützung einfordern.
Quellen
[2] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/08/PD22_332_413.html
[3] https://www.bcg.com/publications/2022/combating-climate-crisis-with-alternative-protein
[5] https://www.rethinkx.com/food-and-agriculture
[6] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S221191241830141X
[7] https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2015025118
[8] https://biozyklisch-vegan.org/
[9] https://veganer-oekolandbau.de/
[10] http://www.vegan-farming.org
[11] https://www.plantage.farm/
[14] https://landwirtschaft.jetzt/de/mythen/
[15] https://landwirtschaft.jetzt/de/die-kuh-ist-ein-klimakiller/
[17] https://bevela.de/
[19] https://landwirtschaft.jetzt/wp-content/uploads/2022/09/dlg-merkblatt_386.pdf
[22] https://landwirtschaft.jetzt/wp-content/uploads/2022/09/Serviceflyer_C.A.R.M.E.N.e.V.pdf
[23] https://landwirtschaft.jetzt/wp-content/uploads/2022/09/AgrarHeuteSolaranlagen.pdf
[26] https://landwirtschaft.jetzt/wp-content/uploads/2022/09/APV-Leitfaden.pdf
[27] https://www.bmel.de/DE/themen/wald/klimaangepasstes-waldmanagement.html
[28] https://landwirtschaft.jetzt/wp-content/uploads/2022/09/1018_Foerderung_Privatwald_Web_200428.pdf